Einleitung

Wir alle glauben zu wissen, was Stress ist. Die meisten Menschen würden sagen, dass Stress einfach zu viele Aufgaben auf einmal bedeutet, die nicht bewältigt oder nur mit großer Anstrengung bewältigt werden können. Zu viel Arbeit, zu hohe Anforderungen, zu wenig Verständnis, familiäre Probleme etc. 

Wäre es aber alles, müssten die unangenehmen körperlichen und emotionalen Reaktionen, die mit Stress einhergehen nach dem Verschwinden von Stressauslöser, schnell wieder abklingen. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Menschen können über eine lange Zeit heftige Stressreaktionen zeigen, die sich in Angst, Panikattacken oder Depression äußern, auch wenn nichts los ist.

 

Eine stressauslösende Situation ist nicht gleich Stress 

Situationen können lediglich das Potenzial haben, eine Stressreaktion auszulösen. Die letzte entsteht jedoch mit allen ihren Begleiterscheinungen im Menschen selbst, und nur dort. Abgesehen davon, ist die Intensität der Reaktion auf Stressoren eine individuelle Angelegenheit. Was für einen eine Tragödie ist, interessiert einen anderen kaum.

Darüber hinaus muss das stressauslösende Signal nicht zwangsläufig von Außen kommen. Die unverarbeiteten psychischen Belastungen und nicht bewältigte Erlebnisse, alle die kleineren und größeren Traumata, die für vergessen gehalten werden, all die verinnerlichten Glaubensmuster lauern unter der Bewusstseinsoberfläche und machen sich bei Gelegenheit bemerkbar. Und so kann ein unscheinbarer Auslöser ein emotionales Gewitter verursachen, das den Menschen in eine Angst- und Paniksituation oder in eine tiefe Krise versetzt.


Lebensretter oder Killer Nr. 1?

Einfach erklärt, ist Stress eine körperliche Reaktion, die in Notfallsituationen blitzschnell einsetzt, um uns kurzfristig leistungsfähiger zu machen. Es ist also ein sinnvoller biologischer, evolutionsbedingter Mechanismus, der uns das Leben retten kann. Akuter Stress ist normalerweise beherrschbar und verschwindet, sobald das Ereignis oder die Situation gelöst ist.

So gesehen, ist Stress nützlich und notwendig, gefährlich wird er erst im Dauermodus. Er belastet unsere Psyche, aktiviert bestimmte Hirnareale, ist maßgeblich bei zahlreichen Erkrankungen beteiligt. 

Laut einigen Wissenschaftlern gibt es jeden Tag etwa fünfzig Stressreaktionen bei einer Person. Die WHO hat Stress schon vor etlichen Jahren als eine der größten Krankheitsursachen im 21. Jahrhundert erkannt. Schon ganz bald, so die Prognose, wird Stress in dieser Hinsicht, weltweit die Hauptrolle spielen.

Das Erkennen von chronischem Stress ist gar nicht so einfach. Chronischer Stress kann übersehen werden, weil man sich an ein bestimmtes Stresslevel gewöhnen kann und dadurch die Auswirkungen auf den Körper und die Psyche über eine lange Zeit hinweg übersehen, was schlussendlich zu einem kompletten Systemversagen, Burnout genannt, führen kann.

Die unzähligen Warnsignale sind auf verschiedenen Ebenen zu beobachten und unterscheiden sich vom Mensch zu Mensch voneinander. Das Spektrum ist recht groß. 

 

Körperliche Stresssymptome

Muskelverspannungen, Kopfschmerzen, Schwindel, Zähneknirschen, Schluckbeschwerden, Hitzewallungen, Schweißausbrüche, 

Magenschmerzen, Verdauungsbeschwerden, Übelkeit, Müdigkeit und vieles mehr.

 

Stresssymptome auf der emotionalen Ebene

Innere Unruhe, Reizbarkeit, Langeweile, Interessenlosigkeit, Einsamkeitsgefühl, Entfremdung, Hilfslosigkeit, Kontrollverlust, Wut, Angst, Aggression

Niedergeschlagenheit, Depression etc.

 

Stresssymptome auf der mentalen Ebene:

Gedächtnisprobleme, Konzentrationsschwierigkeiten, Entscheidungsschwäche, Humorlosigkeit, Kreativitätsmangel, Gedankenkarussell, 

Ohnmacht, Überforderung usw.

 

Stresssymptome im Verhalten

Vermeidungsverhalten, ungesunder Ess- und Trinkverhalten, Drogenkonsum, zappelige Gestik, geballte Fäuste, sozialer Rückzug oder aber

übertriebenes Bedürfnis nach Nähe, Klammern, Unfähigkeit allein zu sein, belastende Beziehungen, soziale Konflikte uvm.

 

Kampf-Flucht-Erstarrungs-Modus

Unser Nervensystem entscheidet, ob es angesichts einer gefühlten oder realen Gefahr mit Angriff, Flucht oder Erstarren reagiert und versucht uns durch seine Gefahrenhaltung zu schützen. Mit diesen instinktiven Reaktionen will sich das Nervensystem sein Überleben sichern, wir wechseln automatisch in einen dieser Stressreaktionsmodi.

Die Kampfreaktion zeigt sich durch Aggression und den Wunsch, sich zu verteidigen oder anzugreifen. 
Die Fluchtreaktion ist darauf ausgerichtet, der Stresssituation zu entkommen, indem man flieht oder sich versteckt. 

Die Erstarrungsreaktion ist eine Art „Erstarren“ oder „Einfrieren“, bei der man sich nicht bewegt und sich vorübergehend „abschaltet“. Sie kann als Schutzmechanismus dienen, indem sie die Aufmerksamkeit des Angreifers von einem ablenkt oder die Wahrnehmung von Schmerz oder Angst verringert.

 

Emotionaler Stress

Emotionaler Stress ist eine Art von Stress, die aus emotionalen Belastungen oder Herausforderungen resultiert. Er entsteht, weil unser Stresssystem nicht in der Lage ist, die emotionale Bedrohung und physische Lebensgefahr voneinander zu unterscheiden. 

Und so versucht es bei emotionalem Stress, die bewährten, lebensrettenden Mechanismen einzusetzen. Also die Kampf-Flucht-Erstarrung-Reaktion mit allen bio- und neurochemischen Konsequenzen. 

Wenn Kampf (Wut, Aggression) sinnlos erscheint, wird der Fluchtmodus aktiviert, in dem der Mensch sich der Konfrontation und Kommunikation entzieht und frisst Stress in sich hinein. Die Flucht in Süchte aller Art ist eine weitere beliebte Reaktion. 

Wenn weder Kampf noch Flucht möglich erscheinen, bleibt der Erstarrungsmodus. Wir fühlen uns ohnmächtig und sind kaum in der Lage eine Lösung zu finden. Es droht das emotionale Burnout.

 

Fazit

Chronischer Stress führt zu vielen gesundheitlichen Problemen, sowohl körperlichen als auch psychischen. 

Anderseits komplett stressfrei zu leben ist weder möglich noch sinnvoll. Ohne Stress ist keine Entwicklung möglich. Er gewährleistet nicht nur das Überleben der Spezies Mensch auf diesem Planeten, sondern gehört zu einem gesunden und glücklichen Leben mit dazu. Wir brauchen Herausforderungen, um wachsen zu können, neue Fähigkeiten zu erlernen, Probleme zu lösen, neue Wege zu gehen, unser Potenzial entdecken und entfalten zu können. Alles das ist ohne Stress nicht möglich. Es kommt also darauf an, eine gute Mischung für sich selbst zu finden.

Stressbelastung wird sehr individuell bewertet. Was der eine als unerträglichen Druck wahrnimmt, wird bei einem anderen als abwechslungsreich und bereichernd empfunden. Es ist möglich, dass manche Menschen Stress als positiv empfinden, da er sie motiviert und ihnen dabei hilft, Herausforderungen zu bewältigen und ihr Bestes zu geben. In solchen Fällen kann Stress auch als Ansporn wirken und zu einer Leistungssteigerung beitragen.

Der Mensch selbst und der Grad seiner Selbstwirksamkeit stellt den entscheidenden Faktor für die Entstehung und die Aufrechterhaltung der Stressreaktion dar. Bei dieser Betrachtungsweise verlagert sich der Fokus nach Innen, zu einem selbst, aus dem Bereich des Objektiven (die Außenwelt) in das subjektive Innere der menschlichen Psyche. Nur dort nämlich können wir ein Potenzial finden, das uns ermöglicht, unsere Lebensqualität zu verbessern.